Virtuelle Stimmen im Renaissance-Garten Tucherschloss

»Wundersame Wandlungen« ist ein interaktives räumliches Hörspiel, das im Renaissance-Garten des Museum Tucherschloss und Hirsvogelsaal im Herzen der Nürnberger Altstadt erkundet werden kann. Die immersive Raumklang-Installation wurde von Michael Markert entwickelt und entstand zusammen mit dem Poetischen Theater Nürnberg, das mit seiner langjährigen Erfahrung mit Aufführungen in und durch Räume von Museen ein eindrucksvolles, nicht-lineares und exploratives Stück dazu geschrieben und eingespielt hat.

Wundersame Wandlungen ab So, 16. September 2018, 15 Uhr
Renaissance-Garten im Museum Tucherschloss Nürnberg

Das Poetische Theater stellt das digitale Hörprojekt, das zusammen mit dem Medienkünstler Michael Markert entstand, im Freigelände des Museums Tucherschloss vor. Ein GPS-gestütztes, intuitives Museumserlebnis in bekannt hoher literarischer Qualität, durch räumlich verortete akustische Orientierung mit Hilfe eines mobilen Endgeräts im physikalischen Raum erlebbar gemacht. Die Verbindung mit ortsbasierten, immersiven Raumklang-Technologien ist eine neue interaktive Art der medialen Führung in den Museen der Stadt Nürnberg.

Ein Raumklang-Hörspiel ohne Museumsführer oder Ränge für das Publikum: Nach dem Herunterladen der App machen sich die Besucherinnen und Besucher daran, den Renaissancegarten des Tucherschlosses in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges auf eigene Faust zu erkunden. Anders als bei einem gewöhnlichen Audioguide jedoch rufen sie die Beiträge nicht auf Knopfdruck ab, sondern sie folgen ihrem Gehör und werden unversehens zu Zeugen galanter Flüstereien und wundersamer Geschichten, wenn sie nicht gerade auf einer Bank ausruhen, um den Musikanten zu lauschen. Die Besucher bestimmen mit ihren Schritten den Gang der Erzählung und vollenden sie, jeder auf seine Weise, selbst.

Video: Interaktive Museums-App im Tucherschloss: Die Renaissance auf Klangwolken erleben | #FrankenSein. Roos, F. and Wetzel, M. (2019) ‘Wundersame Wandlungen: Interaktive Museums-App im Tucherschloss’, FrankenSein, 19 February. Available at: https://frankensein.de/interaktive-museums-app-tucherschloss/ (Accessed 22 Feb 2025)

Die Theatergruppe um Holger Trautmann, Michael Lösel und Susanne Rudloff hat viel Erfahrung mit besonderen Formaten, nicht nur weil sie Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens sind (der Orden ist die “einzige Sprach- und Literaturgesellschaft aus der Barockzeit, die ununterbrochen weiterbesteht; gegründet 1644”). Die Schauspielerinnen und Schauspieler des Poetischen Theaters präsentieren ihre Aufführungen und Stücke vorrangig in historischen Räumen und musealen Orten. Oft wechseln die Zuschauer den Raum, wenn es neue Szenen gibt. In diesem Sinn ergänzen sich das Poetische Theater und Michael Markert in der Erkenntnis, dass es ein äußerst kreativer Moment sein kann — und in der Theatergeschichte auch schon öfter Gegenstand experimenteller Aufführungen war – dem Publikum eine räumliche Freiheit zu geben.

So sehen normalerweise die Aufführungen des Poetischen Theaters aus, hier im Tucherschloss. Schauspieler: Holger Trautmann und Susanne Rudloff. Foto: Markert

Das passt gut zum Ansatz von Michael Markert, Audio-Guides weniger komplex und natürlicher zu gestalten, weniger Fokus auf den Bildschirm mit vielen ablenkenden Infos, mehr Fokus auf den Ort, um den es geht. Er zeigt sich überzeugt, dass es mit progressiven Audio-Technologien möglich ist, die Rezeption von Raumqualitäten mit Augmented Audio Reality zu verändern, anzureichern und Wissen über die vielfältige und komplexe Geschichte von Orten zu vermitteln. Eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung findet sich auch in seiner Dissertation über richtungsgebundene Stereofonie, in der er die Wechselwirkung zwischen menschlicher Wahrnehmung von physischem Raum und virtuellen Klängen untersucht.

Markert äußert sich deshalb begeistert über die Zusammenarbeit mit dem Poetischen Theater:

»Das ist ein wunderbares Stück, das die Möglichkeiten ortsgestützter und immersiver Technologien zur Geltung bringen lässt. Das erfordert die Abgabe von Kontrolle über das Publikum. Die Menschen sitzen nicht starr und müssen verweilen, bis das Stück vorbei ist, sondern können sich frei in der Raumzeit bewegen und sammeln so Informationen und Geschichten auf ihrem individuellen Weg durch den historischen Garten.«

Dabei überlagern sich das 17. Jahrhundert mit dem 21., Geräusche von Pferdekutschen vermischen sich mit Sirenen und anderen modernen Großstadt-Klangkulissen. »Das ist genau die Art von Immersion, die Lernen durch Interesse fördern soll. Eine Art von Informations-Gewinnung, die ähnlich wie im Alltagsleben funktioniert: Wir hören einige Gesprächsfetzen, setzen Gehörtes und Dialoge zusammen und langsam formt sich ein Gesamtbild. Im Gegensatz zum chaotischen Leben verlaufen nur gestaltete Narrative von vorne nach hinten und haben überhaupt einen Anfang und ein Ende. Hier geht es um die Stimmung des Ortes, um Geschichte, Gesellschaft und Werte. Wie hat man damals gelebt, was war wichtig und was können wir für uns heute daraus mitnehmen?« fragt Markert, der sich in seiner Dissertation mit hybriden Räumen und der Überlagerung durch Augmented Audio Reality beschäftigt.

»Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Szenen aus dem 17. Jahrhundert wechseln sich ab mit den Erlebnissen heutiger Museumsbesucher, klassisches Faktenwissen wird nicht vermittelt. [Die] Neugier zu wecken […] gelingt« Nürnberger Nachrichten (2018)

Das Tucherschloss im Osten von Nürnbergs Altstadt, einst Sommersitz der Patrizierfamilie Tucher, wurde zwischen 1533 und 1544 erbaut und ist seit 1969 ein Museum. Besucher können dort Kunstwerke und historische Gegenstände der Familie Tucher bewundern, darunter Gemälde aus dem 15. bis 19. Jahrhundert und das Tafelservice von Wenzel Jamnitzer. Besonders sehenswert ist der Hirsvogelsaal mit dem Deckengemälde „Der Sturz des Phaethon“ von Georg Pencz, einem Albrecht-Dürer-Schüler, das nach dem Zweiten Weltkrieg wiederhergestellt wurde.

Die Wandlungen können immer angehört werden, wenn das Museums Tucherschloss und Hirsvogelsaal geöffnet hat. Die Öffnungszeiten und Museumseintritt können auf der Webseite des Museums eingesehen werden.

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